Menü ausblenden
Insolvenz - Insolvenzanfechtung
1. Was ist eine Insolvenzanfechtung und warum gibt es dieses Instrument?
Die Insolvenzanfechtung ist ein Mittel, durch das der Insolvenzverwalter unter bestimmten Voraussetzungen Rechtshandlungen wieder rückgängig machen kann, die im Vorfeld der Insolvenz erfolgt sind. Dadurch kann er die Insolvenzmasse im Interesse der Gläubigergesamtheit erhöhen.
2. Wer trifft die Entscheidung über eine Insolvenzanfechtung und führt diese durch?
Die Entscheidung, ob angefochten wird, trifft der Insolvenzverwalter und er macht sie auch geltend. Dabei unterliegt er keinen Weisungen, sondern muss selber die Zweckmäßigkeit abschätzen (die mutmaßlichen Erfolgsaussichten und auch die Zahlungsfähigkeit der Betroffenen spielen hierfür eine wichtige Rolle). Da der Insolvenzverwalter unter Umständen aber selber haftet, wenn er seine Pflichten verletzt und da seine zentralste Pflicht die Mehrung der Insolvenzmasse ist, kommen Insolvenzanfechtungen in der Praxis häufig vor. Betroffene sollten daher jede Insolvenzanfechtung auf den Prüfstand stellen.
3. In Welchen Situationen kann eine Insolvenzanfechtung erfolgen?
In welchen Konstellationen eine Insolvenzanfechtung erfolgen kann, ist in der Insolvenzordnung (InsO) geregelt. Die in der Praxis wichtigsten Anfechtungsgründe sind im Folgenden dargestellt. Gemeinsame Voraussetzung ist, dass eine vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens vorgenommene Rechtshandlung (beispielsweise die Übereignung eines Gegenstandes) zur Benachteiligung der Gläubiger führt. Die Gläubigerbenachteiligung liegt dabei in der Schmälerung des Schuldnervermögens (also der späteren Insolvenzmasse) und es kommt nicht darauf an, ob diese bezweckt war oder nur eine Nebenfolge ist. Die einzelnen Anfechtungstatbestände haben darüber hinaus unterschiedlich strenge Voraussetzungen und können unterschiedlich weit zurückreichen.
a) Anfechtung bei kongruenter Deckung (§ 130 InsO)
Mit dem Begriff „kongruente Deckung“ ist gemeint, dass die jeweilige Rechtshandlung eine Sicherung oder Befriedigung bewirkt, die dem Gläubiger sowohl in inhaltlicher als auch zeitlicher Hinsicht genauso zusteht. Dies kann beispielsweise der Fall sein, wenn der Schuldner aufgrund einer fälligen Rechnung vertragsgemäß an den Gläubiger zahlt. Der Gegenbegriff ist „inkongruente Deckung“. Eine Anfechtung bei kongruenter Deckung setzt voraus, dass
- die Rechtshandlung in den letzten drei Monaten vor dem Insolvenzantrag vorgenommen worden ist,
- der Schuldner zur Zeit der Handlung zahlungsunfähig war und
- der Gläubiger zu dieser Zeit die Zahlungsunfähigkeit oder Umstände kannte, die zwingend auf die Zahlungsunfähigkeit schließen lassen
oder dass
- die Rechtshandlung nach dem Eröffnungsantrag vorgenommen worden ist und
- der Gläubiger zur Zeit der Handlung die Zahlungsunfähigkeit oder den Eröffnungsantrag bzw. Umstände kannte, die zwingend auf die Zahlungsunfähigkeit oder den Eröffnungsantrag schließen lassen.
Umstände, die zwingend auf die Zahlungsunfähigkeit oder den Eröffnungsantrag schließen lassen, können beispielsweise die Aussage des Schuldners, die fälligen Zahlungspflichten nicht erfüllen zu können oder das mehrmonatige Nichtabführen von Sozialversicherungsbeiträgen sein.
Über den Erfolg oder Misserfolg im Rahmen einer gerichtlichen Auseinandersetzung entscheidet nicht selten, wer die sogenannte „Beweislast“ trägt. Damit ist gemeint, dass strittige Tatsachen im Regelfall von der Partei, die daraus einen Vorteil für sich ableiten möchte, bewiesen werden müssen, damit sie einer gerichtlichen Entscheidung zugrunde gelegt werden können. Grundsätzlich liegt im Streitfall die Beweislast für das Vorliegen der Anfechtungsvoraussetzungen beim Insolvenzverwalter. Ist der Gläubiger, gegenüber dem die in Frage stehende Rechtshandlung vorgenommen wurde, eine dem Schuldner zur Zeit der Handlung nahestehende Person (beispielsweise der Ehepartner), wird jedoch die Kenntnis von der Zahlungsunfähigkeit oder von dem Eröffnungsantrag vermutet und der Gläubiger trägt die Beweislast für das Gegenteil. Diese Hilfestellung wird dem Insolvenzverwalter an die Hand gegeben, da nahestehende Personen im Regelfall besondere Möglichkeiten haben, sich über die wirtschaftlichen Verhältnisse des Schuldners zu informieren.
b) Anfechtung bei inkongruenter Deckung (§ 131 InsO)
Inkongruente Deckung bedeutet, dass der Gläubiger durch die Rechtshandlung eine Befriedigung oder Sicherung erhält, die er nicht, nicht in der Art oder nicht zu der Zeit zu beanspruchen hatte. Beispiele sind etwa die Erfüllung einer verjährten oder noch gar nicht fälligen Forderung und insbesondere auch die sogenannten „Druckzahlungen“, also beispielsweise Zahlungen zur Abwendung eines angekündigten Gläubigerinsolvenzantrages.
In einem solchen Fall ist die Rechtshandlung anfechtbar,
- wenn sie im letzten Monat vor dem Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens oder nach diesem Antrag vorgenommen worden ist (weitere Voraussetzungen müssen dann nicht erfüllt sein) oder
- wenn sie innerhalb des zweiten oder dritten Monats vor dem Eröffnungsantrag vorgenommen worden ist und der Schuldner zur Zeit der Handlung objektiv zahlungsunfähig war oder
- wenn die Handlung innerhalb des zweiten oder dritten Monats vor dem Eröffnungsantrag vorgenommen worden ist und dem Gläubiger zur Zeit der Handlung bekannt war, dass sie die Insolvenzgläubiger benachteiligt bzw. ihm Umstände bekannt waren, die zwingend auf die Benachteiligung der Insolvenzgläubiger schließen lassen. Kenntnis von der Benachteiligung der übrigen Gläubiger bedeutet Kenntnis davon, dass der Schuldner wegen seiner finanziellen Situation in absehbarer Zeit nicht mehr fähig sein wird, sämtliche Insolvenzgläubiger zu befriedigen. Hinsichtlich der Beweislast gelten die gleichen Grundsätze wie im Rahmen der Anfechtbarkeit bei kongruenter Deckung.
c) Vorsatzanfechtung (§ 133 InsO)
Hat der Schuldner eine Rechtshandlung mit dem Vorsatz vorgenommen, seine Gläubiger zu benachteiligen und war dies dem Gläubiger zur Zeit der Handlung bekannt, ist diese anfechtbar, wenn sie in den letzten zehn Jahren vor dem Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens oder danach vorgenommen wurde. Wenn der betroffene Gläubiger wusste, dass die Zahlungsunfähigkeit des Schuldners drohte und dass die Handlung die übrigen Gläubiger benachteiligt, wird diese Kenntnis vermutet, sodass der Gläubiger im Streitfall das Gegenteil beweisen muss.
Für alle Insolvenzverfahren, die am oder nach dem 5. April 2017 eröffnet wurden, verkürzt sich sowohl bei kongruenten als auch bei inkongruenten Deckungshandlungen die Anfechtungsfrist auf vier Jahre. Außerdem wird die Kenntnis von dem Benachteiligungsvorsatz im Fall kongruenter Deckungshandlungen nicht bereits bei einem Wissen des Gläubigers um die drohende Zahlungsunfähigkeit sowie die Gläubigerbenachteiligung vermutet. Es ist vielmehr ein Wissen von der eingetretenen Zahlungsunfähigkeit sowie von der Gläubigerbenachteiligung nötig, damit die gesetzliche Vermutung und damit die Umkehr der Beweislast eintritt. Zahlungsvereinbarungen oder sonstige Zahlungserleichterungen sind dabei keine Umstände, die für die Kenntnis sprechen, vielmehr führen sie sogar zu einer gesetzlichen „Gegenvermutung“.
4. Was sind nahestehende Personen?
Bereits unter dem Gesichtspunkt der Beweislast bei der Anfechtung kongruenter und inkongruenter Deckungshandlungen wurde deutlich, dass Rechtshandlungen gegenüber nahestehenden Personen besonders im Fokus der Insolvenzanfechtungsregeln stehen, da diese aufgrund einer (insbesondere persönlichen, familiären oder gesellschaftsrechtlichen) Nähebeziehung zum Schuldner besonders „verdächtig“ sind. Auch im Rahmen der Vorsatzanfechtung werden nahestehende Personen hervorgehoben, indem der Anfechtungstatbestand im Fall von entgeltlichen Verträgen mit nahestehenden Personen modifiziert wird. Wer darunter fällt, ist in § 138 InsO geregelt.
Dazu zählen beispielsweise
- Lebens- und Ehepartner,
- nahe Verwandte,
- in häuslicher Gemeinschaft Lebende,
- Geschäftsführer,
- Gesellschafter einer UG (haftungsbeschränkt) oder einer GmbH mit mehr als 25 % Kapitalbeteiligung,
- Aufsichtsräte,
- Vorstände,
- Aktionäre mit mehr als 25 % Kapitalbeteiligung,
- Komplementäre einer KG,
- Kommanditisten einer KG mit mehr als 25 % Kapitalbeteiligung,
- GbR- oder OHG-Gesellschafter,
- Prokuristen sowie
- leitende Angestellte in Buchhaltung und Verwaltung.
5. Gibt es eine Ausnahme für Bargeschäfte?
Für Geschäftspartner ist es ohnehin selten attraktiv, mit einem kriselnden Unternehmen Geschäfte zu machen. Das gilt umso mehr, wenn die Insolvenzanfechtung droht. Um zu verhindern, dass der Schuldner in der Krise faktisch von jeder Geschäftstätigkeit ausgeschlossen wird, enthält § 142 Abs. 1 InsO eine Ausnahmeregelung für den Fall des unmittelbaren Austauschs wirtschaftlich gleichwertiger Leistungen. Danach sind solche Leistungen des Schuldners, für die unmittelbar eine gleichwertige Gegenleistung in sein Vermögen gelangt, nur dann anfechtbar, wenn es sich um einen Fall der Vorsatzanfechtung handelt und der andere Teil erkannt hat, dass der Schuldner unlauter handelte. Unlautere Handlungen sind dabei insbesondere gezielte Schädigungen der übrigen Gläubiger durch den Schuldner.
Mit „unmittelbar“ ist nicht zwingend ein Zug-um-Zug-Austausch gemeint, die Unmittelbarkeit ist jedoch nur gegeben, wenn nach Art der ausgetauschten Leistungen und unter Berücksichtigung der Gepflogenheiten des Geschäftsverkehrs ein enger zeitlicher Zusammenhang besteht. Für den Fall der Gewährung von Arbeitsentgelt durch den Schuldner legt das Gesetz hier beispielsweise fest, dass der Zeitraum zwischen Arbeitsleistung und Gewährung des Arbeitsentgelts drei Monate nicht übersteigen darf. Auch wenn letztlich immer eine Einzelfallbetrachtung vorgenommen werden muss, kann sich im Übrigen an einer 30-Tage-Grenze orientiert werden.
Bei inkongruenten Deckungshandlungen greift die Ausnahme für Bargeschäfte nicht, da diese gerade nicht wie geschuldet erbracht werden.
Die Gleichwertigkeit von Leistung und Gegenleistung ist eine zentrale Voraussetzung, da hierdurch sichergestellt wird, dass lediglich eine Vermögensumschichtung und nicht eine (gläubigerbenachteiligende) Vermögensschmälerung stattfindet. Sie bemisst sich nach objektiv wirtschaftlichen Kriterien, nicht nach dem Vorstellungsbild der Parteien.
6. Was sind die Folgen einer Insolvenzanfechtung?
Die Insolvenzanfechtung löst einen Rückgabeanspruch gegen denjenigen aus, der etwas aus dem Schuldnervermögen erlangt hat. In erster Linie ist genau das an die Insolvenzmasse zurückzugewähren, was durch die anfechtbare Handlung aus dem Schuldnervermögen veräußert, weggegeben oder aufgegeben wurde. Das können Gegenstände sein, aber beispielsweise auch Forderungen.
Daneben kann der Insolvenzverwalter gegebenenfalls auch tatsächlich gezogene oder Wertersatz für schuldhaft nicht gezogene Nutzungen herausverlangen und der betroffene Gläubiger muss unter Umständen auch für Wertminderungen aufkommen. Mit Nutzungen sind insbesondere Gebrauchsvorteile gemeint, also beim veräußerten Grundstück etwa Mieteinnahmen. Im Gegenzug hat der betroffene Gläubiger einen Anspruch auf Ersatz von notwendigen Verwendungen, also solcher, die für die Erhaltung und ordnungsgemäße Bewirtschaftung der Sache erforderlich sind und die der Eigentümer andernfalls selbst hätte machen müssen. Dieser Anspruch richtet sich gegen die Insolvenzmasse. Ist das Insolvenzverfahren seit dem 05.04.2017 eröffnet worden, sind Geldschulden erst dann zu verzinsen, wenn Verzug eingetreten ist (im Regelfall durch eine Mahnung des Insolvenzverwalters) oder es zur Klage kommt.
7. Was passiert, wenn eine Rückgabe nicht (mehr) möglich ist?
Wenn eine Rückgewähr „in Natur“ nicht möglich ist (etwa, weil der Gegenstand zerstört wurde), führt dies in aller Regel nicht dazu, dass der Betroffene von seiner Pflicht zur Rückgewähr frei wird, sondern vielmehr zu einer Wertersatzpflicht.
8. Welche Folge ergibt sich für die bereits erbrachte Gegenleistung?
In der Regel bleibt dem Anfechtungsgegner nur die Möglichkeit, seine bereits erbrachte Gegenleistung als Insolvenzforderung zur Tabelle anzumelden. In Ausnahmefällen kann es jedoch vorkommen, dass der von der Insolvenzanfechtung betroffene Gläubiger Erstattung seiner erbrachten Leistung aus der Insolvenzmasse verlangen kann. Dafür muss diese aber (noch) unterscheidbar in der Masse vorhanden oder die Insolvenzmasse um ihren Wert bereichert sein.
9. Ist die Insolvenzanfechtung zeitlich begrenzt?
Die einzelnen Insolvenzgründe setzen voraus, dass die anzufechtenden Handlungen innerhalb bestimmter Fristen vorgenommen wurden. Dadurch wird insbesondere dem Bestandsinteresse der Gläubiger Rechnung getragen. Daneben unterliegt der Anfechtungsanspruch aber auch der regelmäßigen, dreijährigen Verjährungsfrist. Diese beginnt mit dem Schluss des Jahres, in dem der Anfechtungsanspruch entstanden ist, also in dem das Insolvenzverfahren eröffnet wurde und der Insolvenzverwalter von den anspruchsbegründenden Umständen und der Person des Anfechtungsgegners Kenntnis erlangt hat beziehungsweise hätte erlangen müssen. Danach kann der Insolvenzverwalter den Anfechtungsanspruch nicht mehr durchsetzen.
10. Welche Maßnahmen sind sinnvoll, um sich vor einer Insolvenzanfechtung zu schützen?
Wenn sich der Kunde bereits in der Krise, aber (noch) nicht im Insolvenzverfahren befindet, ist es besonders wichtig, von vornherein auf einen unmittelbaren Leistungsaustausch zu achten (bestenfalls Vorkasse zu verlangen), um im Fall der Fälle in den Genuss der Bargeschäftsausnahme kommen zu können. Aber Vorsicht: Damit ist nicht gemeint, bei einem bereits geschlossenen Vertrag auf Zahlung zu drängen, obwohl vielleicht eine deutlich längere Zahlungsfrist vereinbart ist. In so einem Fall könnte die Bargeschäftsausnahme am Vorliegen einer inkongruenten Deckungshandlung scheitern.
Da die Anfechtungsmöglichkeit maßgeblich davon abhängt, ob der Gläubiger von der Unternehmenskrise wusste beziehungsweise wissen konnte, sollte insbesondere die Korrespondenz mit dem Schuldner auf entsprechende Indizien untersucht werden, um Risiken und etwaige Verteidigungsaussichten zu prüfen sowie etwa durch die Bildung von Rücklagen zu reagieren. Generell gilt, dass die Insolvenzanfechtung eine sehr spezielle und komplexe Materie ist, sodass es durchaus sinnvoll sein kann, fachanwaltlichen Rat hinzuzuziehen.
IHK Offenbach am Main
Industrie- und Handelskammer
Offenbach am Main
Frankfurter Straße 90
63067 Offenbach am Main
Geschäftszeiten
Mo.-Do.: 08:00 - 17:00 Uhr
Freitags: 08:00 - 15:00 Uhr
+49 69 8207 0